Mathematik

Der Velofahrer im Regen

Nicht zu beneiden: Velofahrer im Regen. Wie schnell soll er fahren?

Ein Klassiker aus der Physik: Wie soll sich ein Velofahrer bei Regen verhalten, um möglichst wenig nass zu werden. Im ersten Moment klingt die Aufgabe einfach, wird beim genauen Betrachten aber doch komplexer. Mit dem richtigen Kniff verwandelt sich diese physikalische Aufgabe aber in ein recht einfaches geometrisches Problem.

Bemerkung: In der Schweiz spricht man nicht von Fahrrädern sondern von Velos.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, legen wir ein paar Rahmenbedingungen fest, die das Problem aber im Kern nicht verändern.

Wetter
Der Regen fällt während der ganzen Zeit und Strecke gleichmässig und konstant. Es herrscht Windstille, so dass die einzelnen Tropfen senkrecht herunterfallen.
Strecke
Die Strecke des Velofahres misst 5km und ist flach. Gerade muss sie hingegen nicht sein, da der Regen flächig fällt. Die Fahrgeschwindigkeit ist über die ganze Strecke konstant (inklusive Start und Ziel).
Fahrer
Die Geometrie eines Velofahrers ist recht komplex. Für die Lösung selbst, genügt es aber, den Fahrer durch eine Kiste mit vergleichbarer Grösse (Höhe × Breite × Tiefe) zu ersetzen. Als Beispiel nehmen wir: 175cm × 50cm × 25cm.
Weiteres
Effekte der Aerodynamik werden ausgelassen, ebenso Dinge wie Spritzwasser, Luftfeuchtigkeit, Verdunstung, Kleidung etc. Zu guter letzt auch die Frage wie man das Schwitzen des Fahreres bezüglich nass werden miteinbezieht. Verkehrsregeln -und sicherheit wollen wir erst gar nicht erwähnen.

Basierend auf diesen Rahmenbedingungen können wir die Situation weiter vereinfachen:

2- statt 3-dimensional
Die Schulterberite des Fahrers hat zwar Einfluss darauf, wie viel Regen, der Fahrer abbekommt, nicht aber auf seine Fahrstrategie. Denn, wer breitere Schultern hat, wird immer mehr abbekommen, egal was er macht. Wir müssen also nicht ein 3-dimensionales Problem mit einer Kiste lösen, sondern ein 2-dimensionales mit einem hochkant stehenden Rechteck.
2 statt 4 Kanten
Da der Regen senkrecht fällt und das Velo vorwärts fährt, können nur die Front und der Deckel nass werden. Oder auf das Rechteck bezogen, die Vorderseite (grün) und die Oberseite (rot). Für die Lösung müssen wir nur diese beiden Kanten beachten!
Skizze 1: Vom Velofahrer zur Front- und Deckseite eines Rechtecks
Skizze 2: Stanardskizze

Es ist (fast) immer eine gute Idee eine gute Skizze zu machen. Die folgende wird hier noch öfters verwendet. In der Horizontalen ist der Weg abgebildet, wobei der Start links und das Ziel rechts ist. Der Velofahrer wird durch das verkehrt stehende rot-grüne L repräsentiert, der Regen (besser gesagt die Regentropfen) durch die blauen Striche angedeutet. Für Tropfen müssten es eigentlich Punkte sein, die Striche sind aber besser sichtbar, vermitteln eher das Gefühl von Regen und zeigen zudem die Fallrichtung der Tropfen an. Die Skizze ist nicht massstäblich, sondern so verzerrt, dass die wichtigen gut Dinge sichtbar sind.

Häufig hilft es, bei einem Problem Trivial- und/oder Extremlösungen zu betrachten. Bei solchen Lösungen vereinfachen sich oft verschiedenen Nebenbedingungen und geben den Blick auf andere Aspekte frei. Man sollte sie aber nie einfach so als endgültige Lösungen akzeptieren.


Skizze 3: Gesammeltes Wasser bei v = ∞

Nehmen wir an, der Velofahrer fahre mit unendlicher Geschwindigkeit (v = ∞). In der Mathe geht das zum Glück, in der Physik würde uns Einstein eins überbraten. Die Fahrzeit wird somit zu t = 0. Dies hat zur Folge, dass der Regen nicht mehr fällt sondern alle Tropfen in der Luft stehen respektive hängen bleiben. Der Velofahrer sammelt in dieser Situation mit seiner Frontseite alle Tropfen zwischen ihm und dem Ziel ein, die sich maximal 1.75m über dem Boden befinden. Seine Deckseite hingegen bleibt trocken. Denn von oben fällt nichts mehr und von vorne ist diese Seite nicht sichtbar. Die überstrichende Fläche ist zu einem Strich entartet (Fläche = 0). Die gesamte Wassermenge ist also proportinal zu in der in Skizze 3 grün markierten Fläche.


Skizze 4: Wo waren die Tropfen am Anfang?

Nehmen wir nun eine endliche Geschwindigkeit von v = 10km/h was eine Fahrzeit von 30 Minuten ergibt. Kurz vor dem Ziel wird der Fahrer noch ein paar letzte Tropfen einfangen (diesmal auch von oben, da der Regen nun wieder Zeit zum fallen hat). Ganz am Anfang, als der Fahrer startete waren diese Tropfen noch weiter oben (senkrecht über dem Ort, an dem sie den Fahrer treffen, siehe Skizze 4). Die Tropfen, die der Fahrer genau in der Hälfte des Weges auffängt, waren entsprechend zur Startzeit halb so weit oben.


Skizze 5: unendlich schnell gen Himmel

Führt man diese Überlegung für jeden möglichen Zeitpunkt aus, kann man in der Skizze wiederum eine Fläche einfärben und somit alle eingefangenen Tropfen markieren. Diese weist aber zwei Unterschiede zum Fall v = ∞ auf: (1) Die Flächen zeigen schräg nach oben und (2) die Deckseite erzeugt ebenfalls eine echte Fläche (>0).

Wenn der Fahrer also mit 10km/h fährt, erwischt er die in Skizze 5 markierten Tropfen (rot + grün). Er würde exakt die selben Tropfen auffangen, wenn er wiederum mit v = ∞ fahren würde, dieses mal aber schräg nach oben, also fliegen. Ok, das ist definitiv nicht mehr realistisch, aber Mathe nimmt solche Einwände mit einem Schulterzucken entgegen.


Schlussfolgerung: Es gibt für jede (ebenerdig gefahrene) endliche Geschwindigkeit einen zugehörigen Winkel bei unendlicher Geschwindigkeit.

Skizze 6: Die neue Aufgabenstellung: Die kleinste Gesamtfläche?

Anstatt nach der optimalen Geschwindigkeit zu suchen, können wir nun nach dem optimalen Winkel fragen, bei dem die grüne und rote Fläche zusammen minimal sind! Und das ist einfach. Skizze 5 zeigt die Situation für drei Winkel. Das grüne Parallelogramm ist dabei immer gleich gross, da dessen Flächenformel A = Grundseite × Höhe lautet, also unabhängig von der Schräge des Parallelogramms ist. Die Höhe wäre in unserem Fall die Weglänge (5km), die Grundseite die Körpergrösse des Fahrers (1.75m). Die Fläche ist also in allen drei Fällen identisch und hat somit keinerlei Einfluss auf die Lösung!

Die Fläche des roten Parallelogramm hingegen ändert sich. Die Grundseite bleibt zwar gleich (25cm) die Höhe nimmt aber mit steigendem Winkel (langsamere Velofahrt) zwingend zu. Minimal, nämlich 0, ist sie bei einem Winkel von 0°, was v = ∞ entspricht. Das ist zwar weder eine realistische noch für den Velofahrer eine hoffnungsvolle Lösung, aber es ist sie.

Die Lösung lautet also: Je schneller desto besser.

Anmerkung: Diese Lösung brauchte keinerlei Annahmen darüber, wie stark es regnet, ob es grosse oder kleine Tropfen sind, und wie schnell sie fallen. Die einzige Bedingungen waren, dass der Regen gleichmässig und senkrecht fällt. Mehr dazu weiter unten.

Hinweis: Wer einzig an der Lösung der Standardversion der Problemstellung interessiert ist, kann hier aufhören. Ab jetzt folgen detailiertere Diskussionen zu einzelnen Aspekten dieser Aufgabe. Entsprechend können diese etwas komplizierter werden (oder auch nicht).


Hinweis: Wer hier weiterliest sollte die Standardlösung verstanden haben. Die folgenden Abschnitte beziehen sich jeweils darauf.

Die Standardlösung macht zum Regen nur sehr wenige Annahmen, insbesondere keine zu Regenmenge, Tropefengrösse, Tropfenzahl und Fallgeschwindigkeit. Wenn man aber herausfinden will, wie viel Wasser der Fahrer abkriegt, braucht man diese Angaben. Der Ansatz mit der unendlich schnellen Himmelsfahrt bleibt aber nach wie vor sehr praktisch und bewahrt uns vor komplizierten Rechnungen.

einfacher Regenmesser

Die Standardeinheit von Regenmessungen ist Millimeter pro Stunde und beschreibt, wie schnell sich ein offenes geradwandiges Gefäss mit Regenwasser füllen würde. Die Öffnung oben kann beliebig gross sein, solange alle Wände senkrecht sind und der Boden damit gleich gross (Die meisten Regenmesser haben trotzdem andere Formen, dies wird aber beim Ablesen berücksichtigt). Es wird also nur gemessen, was unten ankommt. Aus Sicht eines Landwirts oder Hydrologen ist das auch ausreichend, für unsere Aufgabe leider nicht. Wenn wir den Ansatz von oben weiterverfolgen, müssen wir wissen, wie viel Wasser sich in einem m³ Luft befindet. Und mit Wasser ist flüssiges Wasser gemeint und nicht Dampf (Luftfeuchtigkeit). Um das abzuschätzen brauchen wir weitere Angaben oder zumindest Annahmen.

Auch Regen hat seine Ästhetik

Ein mässiger Regen bringt rund 2 mm/h (was 2 Liter pro Quadratmeter und Stunde entspricht) und Tropfen mit 1mm Durchmesser fallen mit rund 6 m/s [Wikipedia]. Nehmen wir nun an, wir haben den Regen während einer Viertelstunde gemessen und am Schluss entsprechend 0.5 mm Wasser im Gefäss gehabt. Der letzte Tropfen, der uns erreicht hatte, startete bei Messbeginn in einer Höhe von 6m/s × 60s/min × 15min = 5'400m. Alle Tropfen in der Luftsäule unterhalb landeten im Messgefäss und ergaben zusammen gerade mal die vorher genannten 0.5mm! Das Mischungsverhältnis Luft:Wasser bezüglich Volumen liegt entsprechend bei rund 5'400'000:0.5, oder anders gesagt, die Tropfen machen gerade mal 0.00000926% des Volumens der Luft aus (Bei 100% wären wir in einem See gelandet). Die Volumen-Dichte ist also ρ = 9.26×10⁻⁸. Bei Starkregen [Wikipedia] kann die Dicht kurzfristig Werte von über 0.0003% erreichen, in anderen Gefilden sogar noch höhere.

Dass uns Regen vom Gefühl her wesentlich dichter erscheint, liegt daran, dass wir Tropfen, die uns nah sind, gleichzeitig sehen wie solche, die recht weit weg sind. Die Distanzen zwischen ihnen können wir hingegen nur schwer abschätzen und einbeziehen.

Gemäss der Lösung von oben ist die Regenmenge, die an die Frontfläche prallt, von der Fahrgeschwindigkeit unabhängig und umfasst alles Wasser in der grün markierten Luftsäule. Diese hat ein Volumen von VLuft = 5000m × 1.75m × 0.5m = 4'375m³. Multipliziert mit der Dichte von vorhin ergibt das die Wassermenge VWasser = VLuft × ρ = 0.000405m³ = 0.405 Liter, was nicht gerade spektakulär ist. Für die Regenmenge, die an der Deckfläche ankommt, brauchen wir eine Fahrgeschwindigkeit. Nehmen wir 25km/h und somit 12min Fahrzeit. Damit hat die roten Fläche eine Höhe von 6m/s × 760s = 4'320m, das Volumen ist entsprechend VLuft = 4320m × 0.5m × 0.25m = 90m³. Mit ρ multipliziert ergibt das gerade mal 0.008 Liter zusätzliches Wasser (+2%). Insgesamt sind es also 0.413 Liter. Prost!

Regentropfen versus tropfender Hahn

Gemäss Lösung von oben hängt das Optimum der Aufgabenstellung einzig vom Einfluss der Deckfläche (rot) ab. Die quantitativen Berechnungen in diesem Abschnitt zeigen aber, dass deren Einfluss marginal im Vergleich zur Frontfläche (grün) ist (wenige Prozente). Ja, man kann optimieren, aber nur minimal. Entsprechend sind Effekte wie Schwitzen oder auch das Gefühl von prasselndem Regen im Gesicht, oder der Wunsch nach trockenen Kleidern viel wichtiger als die Regenmenge an sich. Oder wie heisst es so schön: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung.

Übrigens, die Tropfenform mit der Spitze oben, kommt bei Regentropfen nicht vor, da diese Form beim Fallen aerodynamisch nicht stabil ist. Dieses Bild hat sich wahrscheinlich von einem sich lösenden Tropfen eingeprägt.

In der Grundsituation fällt der Regen nur senkrecht. Die Frage ist nun, wie ändert sich die Situation bei Gegen- oder Rückenwind. Seitenwind lassen wir aussen vor, die Lösungsansätze wären die selben nur noch etwas unhandlicher. Zudem gehen wir der Einfachheit halber davon aus das die horizontal Geschwindigkeit der Regentropfen mit der des Windes übereinstimmt.

Skizze 7: Mit Gegenwind noch schlimmer

Die Grundskizze ändert sich durch den Wind in 2 Dingen: (1) der Regen fällt nicht mehr senkrecht und als Konsequenz davon: (2) die Höhe des grünen Parallelogramms ändert sich je nach Fahrgeschwindigkeit. Durch den Gegenwind kommen die Tropfen, die der Fahrer am Schluss abkriegt von noch weiter her als das Ziel selbst ist. Damit gewinnt die korrespondierende grüne Luftsäule an Volumen und somit auch an Wasser. Die rote Säule ändert ihr Volumen im Vergleich zur windstillen Situation hingegen nicht, sie wird einfach noch schräger.

Die ganze Situation wird für den Velofahrer erfahrungsgemäss also noch schlechter, speziell da Fahren gegen den Wind deutlich mehr Kraft kostet.

Skizze 8: Mit Rückenwind wird es aber interessant!

Bei Rückenwind wird es aber interessanter. Den jetzt verkürzt sich die grüne Säule der Frontseite und kann sogar ganz verschwinden (vVelo = vWind) oder zu einer Säule an der Rückseite werden (vVelo < vWind). Das ergibt völlig neue Perspektiven bezüglich Optimierung, leider auch Komplikationen.

Es gibt jetzt drei mögliche Kandidaten für ein Optimum, die man genauer betrachten muss:

  1. Das Optimum ist weiterhin bei Unendlich, da dort die rote Säule gleich 0 ist.
  2. Das Optimum ist bei der Windgeschwindigkeit, da dort die grüne Säule gleich 0 ist.
  3. Das Optimum liegt knapp über der Windgeschwindigkeit, in der Hoffnung, dass das zusätzliche Wasser an der Frontseite, durch die kürzere Dauer der Fahrt und deshalb weniger Wasser von der Deckseite überkompensiert wird.

Um den Überblick nicht zu verlieren, ist es sinnvoll alle Grössen tabelarisch zu erfassen.

WasInhaltWert
vV Geschw. Velovariabel
vW Geschw. Wind & Regen horiz.variabel
vR Geschw. Regen vertikal6m/s
s Strecke5'000m
t Zeitt = s / vV
AF Frontfläche0.875m²
AD Deckfläche0.125m²
WasInhaltWert
hD Höhe rote Säule hD = t vR
hF Länge grüne Säule hF = t |vV – vW|
V Gesamtvolumen
der beiden Säulen
V = AF t |vV – vW| + AD t vR
 = AF (s / vV) |vV – vW| + AD (s / vV) vR
 = (5000/vV) × (0.875 |vV – vW| + 0.125 × 6)
ρ Regendichte9.26×10⁻⁸
W WassermengeW = V ρ

Die senkrechten Striche in der Formel für hF und V bedeuten, dass vom Term darin der Betrag genommen wird (negative Zahlen werden positiv). Dies, da der Velofahrer auch Regen von hinten unangenehm findet und der schon gar nicht den anderen kompensiert.


Grafik 1: Einfluss der Rückenwindgeschwindigkeit

Grafik 1 zeigt das Ergebnis, wenn man die Fahrradgeschwindigkeit (horizontal in m/s) gegen das Gesamtvolumen (vertikal in Liter) plotet. Die drei Kurven stehen für drei verschiedene Rückenwindgeschwindigkeiten, die für die drei verschiedenen Situationen stehen, wobei die rote Kurve den Grenzfall darstellt (vW = 0.857143 m/s). Bei diesem ist das Optimum der ganze Bereich oberhalb dieser und liegt bei knapp über 0.4 Liter (siehe Abschnitt Regenberechnung). Ist vW kleiner, ist das Optimum nach wie vor bei vV = ∞, ist vW höher, ist dies gleichzeitig das Optimum. Der Grenzfall (rote Kurve) hängt natürlich stark vom Verhältnis Deck- zu Frontfläche ab.

Die oben vorgeschlagene Version 3 für ein Optimum knapp über der Windgeschwindigkeit gibt es nicht. Für eine solche Form der Kurve ist die Gleichung zu wenig komplex. Wenn schneller werden tatsächlich hilft (grüne Kurve), hört dieser Effekt bis hin zu Unendlich nicht mehr auf.

In den drei gezeigten Kurven sind Regenmenge (2 mm/h) und Vertikalgeschwindigkeit (6 m/s) jeweils die selben. Das ist durchaus plausibel, da für die Vertikalgeschwindigkeit die Schwerkraft plus die Tropfengrösse verantwortlich ist, für die Horizontalgeschwindigkeit aber der Wind, also zwei Dinge die direkt nichts miteinander zu tun haben.

Ideal wäre natürlich eine möglichst hohe Rückenwindgeschwindigkeit, da dadurch der Tiefpunkt der blauen Kurve immer weiter nach unten geht. Der Velofahrer muss dann aber auch schneller Trampen. Das wird zwar wiederum durch den Rückenwind begünstigt, nicht aber durch den Rollwiderstand der Pneus und schon gar nicht vom Sicherheitsgedanken im Strassenverkehr.

Skizze 9: Variable Regenstärke

Ändert der Regen innerhalb der Strecke und/oder der Zeit, sind die Flächen aus den Skizzen nicht mehr proportional zur Wassermenge (In Skizze 9 durch die Farbintensität angedeutet). Dies müsste man beispielsweise durch Methoden der Integration lösen. Die Skizze wäre aber nach wie vor hilfreich bei den Überlegungen.

Skizze 10: Variable Geschwindigkeit

Ändert der Fahrer während der Fahrt seine Geschwindigkeit, was sehr plausibel ist, werden aus den Parallelogrammen in den Skizzen mehr oder weniger stark geschwungene Schläuche, die aber immer nach rechts oben gehen (siehe Skizze 10). Da aber beide Schläuche ihren Querschnitt beibehalten, ändert sich am Volumen nichts. Es gilt immer noch Grundfläche × Höhe. Für die Gesamtmenge an Regen ist also nur die Fahrzeit entscheidend, denn die bestimmt die Höhe der roten Säule. Die der grünen hängt nur von der Distanz ab. Ob der Fahrer dabei gleichmässig schnell gefahren ist, oder mal schneller mal langsamer, ist egal. Diese Anfangsbedingung kann man also lockern.

Wir haben den Körper des Fahrers durch einen einfachen Quader ersetzt, was natürlich nicht die Wahrheit ist. Dadurch konnten wir den Körper aber durch zwei Flächen (rot und grün) vollständig erfassen. Will man die Situation besser handhaben – der Fahrer neigt sich bei Regen oft verstärkt nach vorne – muss man entsprechend mehr Flächen berücksichtigen.

Skizze 11: Optimierung durch Körperneigung

Solange aber kein Seitenwind herrscht, müssen Fläche(an)teile, die zur Seite zeigen nicht beachtet werden. Man kann also nach wie vor 2-dimensional arbeiten. Inwieweit auch Flächen beachet werden müssen, die nach hinten, hinten-unten und vorne-unten zeigen, hängt von Fahr- und Windgeschwindigkeit ab, da je nach dem die Tropfen aus Sicht des Fahrers mit einem anderen Winkel auf ihn treffen. Diesen Effekt kann aber auch zur Optimierung genutzt werden (Skizze 11), in dem er seinen Körper mit der Deckseite möglichst genau dem Regen entgegenhält. Dadurch wird die grosse Forderfront dem Regen nur noch minimal ausgesetzt. Neigt er den Körper zus stark wird er am Rücken nass. Diese Beziehung zwischen Körper(teil)neigung und Richtung der Tropfen ist auch der Grund, warum Arme und Oberschenkel am stärksten durchnässt sind, da sie meist dem Regen die grösste Fläche entgegenstrecken.

Damit kann auch das Optimum aus der Hauptaufgabe noch verbessert werden: Der Fahrer müsste sich auf dem Velo möglichst flach legen (oder ein Liegevelo nehmen) und dann mit v = ∞ nach Hause fahren.

Bei den Beinen wirds kompliziert

Schwieriger wird es mit den sich bewegenden Körperteilen. Im wesentlichen sind das die Beine. Auch hier kann man nach wie vor überlegen, wo waren die Tropfen, die zum Zeitpunkt t auf das Bein treffen, am Anfang der Fahrt. Die entsprechenden Flächen in der Skizze werden jetzt aber in ihrer Form recht komplex. Falls das Bein sich teilweise schneller nach unten bewegt, als die Tropfen fallen, kann es sogar sein, dass der gleiche Tropfen in der Skizze zweimal markiert wird. Da er aber nur einmal auf der Kleidung anhaften kann, darf er auch nur einmal gezählt werden. Es muss also wirklich die umschlossene Fläche berechnet werden und nicht wie viel Gesamtfläche vom den Beinen überstrichen wird.

Das zu rechnen ist definitv nicht mehr trivial, wie das Bild rechts zeigt. Die beiden langen Linien sind die Spur des Tretlagers (schwarz) und des Beckens des Fahreres (rot) als Fixpunkte, sowie in regelmässigen Abständen zusätzlich markiert ein Bein (rot) und eine Kurbel (schwarz). Dazwischen ist das Bein grün gezeichnet, aber mit hoher Transparenz. Damit wird erkennbar welche Flächen schnell (hell) respektive langsam oder gar mehrfach überstrichen werden (dunkel). Deutlich erkennt man auch, dass der Fuss sich beim Durchgang unten viel langsamer vorwärts bewegt als oben. Ob er sich dabei immer noch vorwärts bewegt, hängt von Kurbel- und Radgrösse sowie dem gewählten Gang ab (in der Skizze ist die Geschwindigkeit zum Boden unten ungefähr 0).

Der hier angewendete Trick ist bei allen Varianten der gleiche: Wo befanden sich die Tropfen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den Fahrer getroffen haben, am Anfang der Fahrt? All diese Tropfen bilden eine Fläche, die proportional zur Menge an Regen, die der Fahrer zu erdulden hat, ist. Die verschiedenen Rahmenbedingungen haben nur auf die Komplexität dieser Flächenberechnung Einfluss, nicht aber auf den Lösungsansatz. Einzige Bedingung für diesen Flächenansatz ist, dass der Regen gleichmässig fällt.

In Realität wird aber die Psychologie des Fahrers seine gefühlte Durchnässung stärker beinflussen, als die tatsächlich abbekommene Wassermenge. Aber das lässt sich (zum Glück) nicht berechnen.

Zu guter letzt: Auch das Taxigewerbe freut sich über Umsatz!